Wieder und wieder hatte ich es mir vorgestellt – das Gefühl beim ersten Alleinflug. Was würde ich empfinden, wenn ich die erste Platzrunde ohne Fluglehrer an Bord absolviere? Wie würde ich mich fühlen, wenn ich nach dem ersten Alleinflug wieder gelandet wäre? Thomas Bindel schildert seinen Weg zum Alleinflug…
Wieder und wieder hatte ich es mir vorgestellt – das Gefühl beim ersten Alleinflug. Was würde ich empfinden, wenn ich die erste Platzrunde ohne Fluglehrer an Bord absolviere? Wie würde ich mich fühlen, wenn ich nach dem ersten Alleinflug wieder gelandet wäre? Würde ich vor Begeisterung in wüstes Indianergeheul ausbrechen oder kämen mir vielleicht die Tränen wie bei einem Sportler, der den Wettkampf seines Lebens gewonnen hat und nun auf dem Siegertreppchen die Nationalhymne hört? Alles Fragen, auf die ich mir die Antwort nur vage vorstellen konnte. Eins aber war sicher: Eine Antwort auf diese Fragen wollte ich unbedingt haben.
Also übte ich unentwegt – leider war der August 2010 ziemlich verregnet, sonst hätte es vielleicht schon damals mit dem ersten Alleinflug geklappt. So musste ich mich im März 2011 erst wieder Stück für Stück „`reinfitzen“ – inklusive dieses oder jenen Rückschlags. Je mehr ich vorankommen wollte, desto mehr schien ich zu verkrampfen – es war manchmal wie verhext. Ich nahm mir vor, im Mai 2011 alleine zu fliegen, der Mai verging ergebnislos, und es wurde Juni. Ich nahm mir umso fester vor, im Juni alleine zu fliegen, der Juni verging ergebnislos, und es wurde Juli. Für den Juli nahm ich mir schließlich nichts mehr vor – außer, endlich lockerzulassen. Ich beschloss, das, was ich mir am meisten wünschte, nicht mehr erzwingen zu wollen. Etwas in mir ließ mich wissen, dass es einfach passieren würde, wenn die Zeit reif dazu wäre. Und so ließ ich es geschehen – übte fleißig, wenn es das Wetter an den Wochenenden zuließ und ich Zeit hatte.
Der Juli verging, und es wurde August – der Sommerlehrgang stand an. Ich hatte mir vorgenommen, wenigstens am Dienstag und Mittwoch teilzunehmen, denn für diese beiden Tage war stabiles Flugwetter vorhergesagt worden. Gesagt getan: Am Dienstag, dem 02.08.2011 war ich pünktlich zum Briefing auf dem Flugplatz zur Stelle. Wir bereiteten anschließend den Flugbetrieb vor, und ich stieg an diesem Tag als erster Flugschüler zusammen mit Fluglehrer Bernd Krause ins Flugzeug. Meine zurückliegenden Flüge lagen mehr als eine Woche zurück – also nahm ich an, erst einmal wieder ein wenig in Übung kommen zu müssen. So war es auch, doch es klappte besser als erwartet. Nach dem zweiten Flug sagte mir Bernd, dass er den Eindruck hätte, es würde ganz gut klappen, und er könnte sich meinen ersten Alleinflug durchaus heute schon vorstellen. Was für eine Ansage! Ich flog beim anschließenden dritten Flug auch ganz passabel und stieg danach erst einmal aus, weil ja auch andere Flugschüler drankommen wollten, eventuell sollte ich daran anschließend noch einmal fliegen. Doch es kam anders: An diesem Tag ergab sich für mich keine Chance mehr für weitere Flüge, doch ich machte mir nichts daraus, denn irgendwie hallte es in mir wider so stark wie noch nie zuvor: Morgen ist mein Tag!
Dieser Widerhall hatte zwar etwas Aufregendes, jedoch zugleich auch etwas Beruhigendes, so dass ich am nächsten Tag, Mittwoch, dem 03.08.2011, meinem Tag also, zusammen mit Lars Bilke, der mich von zuhause abgeholt hatte, ausgeruht wieder auf dem Flugplatz erschien. Es lief das gleiche Prozedere wie am Tag zuvor ab – mit einer Änderung: Bernd kam nach dem Briefing auf mich zu und erklärte mir, dass es – nachdem sich die günstige Gelegenheit zum Alleinflug gestern doch nicht wie gedacht ergab – nun heute soweit sei. „Flieg` einfach so wie gestern. Wir machen jetzt gleich zwei Flüge zusammen,“, sagte er zu mir, „anschließend machst Du noch zwei weitere mit Uwe Hölling, und wenn das klappt, dann fliegst Du alleine.“. Ein paar Monate zuvor hätte ich wahrscheinlich – wie damals auch tatsächlich passiert – vor Aufregung alles vermasselt. Doch diesmal spürte ich wie gestern: Heute ist mein Tag – was auch passiert – es ist mein Tag, nichts bringt mich aus der Ruhe. Und tatsächlich: Die Flüge mit Bernd klappten, die mit Uwe – trotz einer unvorhergesehenen Situation – auch. Beim ersten Flug mit Uwe erreichte ich keine allzugroße Ausklinkhöhe, so dass ich die Platzrunde anders als sonst gewohnt fliegen musste – gerade jetzt! Doch es war mein Tag – nichts brachte mich aus der Ruhe. Uwe bemerkte hinterher trocken: „Eigentlich ganz gut, dass das jetzt passiert ist – so sehe ich, wie Du mit der Situation fertigwirst und die Nerven behältst.“ Der zweite Flug mit Uwe verlief ohne Überraschung, und nach der Landung sagte er zu mir: „Das war vom Start bis zur Landung Dein Werk, ich war die ganze Zeit nicht in den Rudern.“ Das hörte sich für mich an wie „War okay – bin zufrieden.“. Richtig gehört, denn Uwe räumte nach dem zweiten Flug seinen Fallschirm aus dem Flugzeug – nun war es soweit, die Zeit der A-Prü¬fung war gekommen. Vier Flüge lagen hinter mir – die im Fliegerleben wohl bedeutendsten drei vor mir. Letzte Abstimmung mit Bernd für den Fall eines Seilrisses und für den Flug in der Platzrunde („Du fliegst Platzrunden, Kurven im Übungsteil nach Bedarf.“), letzte Ermutigung von ihm („Bleib` schön ruhig, Du hast das drauf!“) sowie von Uwe („Du sollst den Flieger heil in die Luft und auch wieder auf den Boden bringen – Du weißt, ich würde Dich nicht alleine fliegen lassen, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass Du das kannst.“).
Und dann ging`s auch schon los: Startcheck („Haube verschlossen und verriegelt,…“), Bernd hängt das Seil ein, ich melde Abflugbereitschaft, das Seil läuft, es strafft sich und ab die Post – von Null auf 100 km/h in zwei Sekunden. Ulrich Klaus an der Winde macht einen sehr guten Job – schöner gleichmäßiger Schlepp mit 100 km/h, die Ausklinkhöhe liegt deutlich über 400 m. Alles ist normal, ich fühle mich ruhig und sicher, nachklinken, trimmen und Normalfluglage herstellen, erste Kurve, Querabflug, zweite Kurve, Übungsteil mit Kurven – alles klappt wie so oft geübt. Ich befinde mich wenig später an der Ausgangsposition, die Flughöhe beträgt nun nur noch 200 m. Zeit für die Meldung an den Flugleiter: „D-3-6-8-5, Gegenanflug!“. Kurze Zeit später dritte Kurve, Queranflug, Landekurve und Landeanflug. Alles scheint perfekt zu laufen – zu perfekt, denn ich verschätze mich etwas beim Festlegen des Abfangpunktes, habe Angst, zu kurz zu kommen und fahre deshalb die Bremsklappen nicht voll aus. Ich setze zwar im Landezielfeld auf, doch die Landung gerät insgesamt viel zu lang. Zwar habe ich das Flugzeug nach einem siebenminütigen Flug – wie von Uwe zuvor gefordert – heil gelandet, doch eine ordentliche Landung sieht anders aus. Was werde ich jetzt wohl zu hören bekommen? Erik Schuster holt mich mit der „Mücke“, unserem Schleppfahrzeug, ab. Ich schnalle mich zuvor ab, steige aus dem Flugzeug aus und gehe mit einem mulmigen Gefühl an die Fläche – Erik lächelt zwar, sagt aber nichts, und ich frage ihn vorsichtshalber auch nichts, denn an der Startlinie werde ich kurze Zeit später ohnehin erfahren, was Sache ist. Und schon geht`s zurück zur Startlinie. Auf dem Weg dahin geht mir meine Landung immer wieder durch den Kopf. Als ich fast wieder an der Startlinie bin, versuche ich das Mienenspiel der anderen zu deuten – erfolglos, das mulmige Gefühl bleibt. Und dann kommt`s – Bernds Worte werden mir wohl für immer im Gedächtnis bleiben: „Da hast Du Dir für den ersten Alleinflug aber gleich was Schweres ausgesucht – für eine Landung ohne voll ausgefahrene Bremsklappen braucht man viel Geduld und Erfahrung, das ist noch zu schwierig für Dich. Ich hätte Dir sagen sollen, dass der Landeanflug gut aussieht und Du ruhig die Bremsklappen voll ausfahren kannst – aber so ist es auch gut, bist um eine wichtige Erfahrung reicher. Steig` wieder ein, mach` es so ähnlich wie beim ersten Mal, fahr` die Klappen aber dieses Mal rechtzeitig voll aus!“.
Derart motiviert stieg ich wieder ins Flugzeug und bereitete mich auf den zweiten Alleinflug vor. Und wieder bescherte mir Ulrich an der Winde einen tollen Schlepp, erste Kurve, Querabflug, zweite Kurve, Übungsteil, Einkurven zwecks Höhenabbau – alles wie beim ersten Mal. Aber diesmal gab es doch einen Unterschied: Mit einem Glück, dass wohl meist nur Anfänger haben, erwischte ich durch Zufall einen „Bart“ (Aufwind) so zentral, dass er mich mit konstant 2 m/s nach oben trug. Bernd und Uwe beobachteten das neckische Spiel vom Boden aus, derweil ich überlegte, ob ich das Kreisen im „Bart“ weiter genießen bzw. wann ich auskreisen solle, denn ich hatte ja auch noch den dritten Alleinflug zu absolvieren. Ich hatte kaum zu Ende gedacht, da kam auch schon eine Instruktion von Bernd: „D-3-6-8-5, auskreisen, dann zum Höhenabbau ein Stück Flug parallel zur Startstrecke von der Position weg, 180°-Kurve und Flug zurück zur Position!“. Gesagt getan – Positionsmeldung, dritte Kurve auf Bernd`s Kommando (ich hatte doch noch erheblich Höhe abzubauen und sollte die dritte Kurve deshalb etwas weiter als im Normalfall von der Ausgangsposition wegverlegen), Queranflug, Landekurve, Landeanflug, Klappen voll ausfahren, nach einem Flug über 15 Minuten anschweben, abfangen, ausschweben, aufsetzen, ausrollen – alles klappte wie am Schnürchen! Und nun verschafften sich die angestauten Emotionen endlich Bahn: Ich stimmte unter der noch geschlossen Haube vor lauter Freude ein Indianergeheul an, bis ich fast heiser war. Damit nicht genug: Nach diesem Flug holte mich Lars mit der „Mücke“ ab und fotografierte mich vorher, wie ich da im Flugzeug saß und mir ein Loch in den Bauch freute. Als er 2010 seinen ersten Alleinflug absolvierte, fotografierte ich ihn vor seinem ersten Start und nach seiner ersten Landung. Damals versprach er mir, für mich das Gleiche zu tun, wenn ich meinen ersten Alleinflug absolvieren würde. Der Zufall wollte es, dass wir am Tag meines ersten Alleinflugs gemeinsam auf dem Flugplatz waren und er sein Versprechen einlöste. Es sind herrliche Fotos geworden, denn Lars hatte mich nicht nur nach der Landung fotografiert, sondern vorher auch Fotos in der Startphase, vom Übungsteil, Landeanflug sowie von der Landung gemacht. Wenn ich sie betrachte, muss ich mich manchmal kneifen, wenn ich mir dabei überlege, dass dies die Fotos meiner ersten Alleinflüge sind.
Auch beim dritten Mal bescherte mir Ulrich einen traumhaften Schlepp. Der „Bart“ stand noch immer an derselben Stelle – das Bewusstsein, gerade die Herausforderung „Alleinflug“ zu meistern, ließ mich diesen dritten Flug richtig genießen. Die Landung klappte wie die zweite reibungslos, und mich durchströmte nach zehnminütigem Flug ein einziges Glücksgefühl. Diesmal holte mich Thilo Schüler ab und gratulierte mir ganz herzlich, bevor es wieder zurück an den Start ging. Dort erwartete mich die erste Gratulationsrunde, was ich sehr genoss.
Seine Fortsetzung fand das Ganze am Ende des Flugtages mit dem traditionellen „Hintern versohlen“, wobei nicht nur ich selbigen versohlt bekam, sondern auch Lars, der – von mir unbemerkt – nach meiner A- seine B-Prüfung erfolgreich absolviert hatte. Pech für Florian Schulz, der für seine Schlagkraft bekannt ist und diese nun auf zwei Portionen aufteilen musste – er machte mir hinterher den Eindruck, als hätte er sich ein wenig zu sehr verausgabt.
Blicke ich heute auf diesen denkwürdigen Tag zurück, kommt es mir wie im Märchen vor, dass ich alleine geflogen bin. Wenn ich die Flüge Revue passieren lasse, dann sehe ich mich nicht im Flugzeug sitzen, sondern scheine mir von oben aus den Wolken beim Fliegen zuzusehen. Es ist ein magischer Eindruck – märchenhaft und wunderschön. Diese Erinnerung wird mich stets begleiten, auch wenn ich manchmal noch nicht richtig glauben kann, alleine geflogen zu sein. Glücklicherweise gibt es aber die von Lars fotografierten Bilder als Beleg, wie am Mittwoch, dem 03.08.2011, ein langgehegter Wunsch in Erfüllung ging.
Thomas Bindel
Geschrieben am 13. Dezember 2011 von Lars Bilke.